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Asylschutz gilt auch (und gerade!) für offen auftretende Homosexuelle

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Ein Leben als Closet Gay ist keine Fluchtalternative. Wer in seinem Land nicht homosexuell sein darf, ohne Gefängnis oder Schlimmeres befürchten zu müssen, hat in der EU ein Anrecht auf Schutz. Für die Idee, Flüchtlingen nahe zu legen, Verfolgung durch entsprechend diskretes Verhalten zu vermeiden, gibt es im Europarecht keinen Anhaltspunkt.

Das hat der Europäische Gerichtshof heute entschieden und damit erneut bewiesen, dass das Asylrecht bei ihm in besseren Händen ist als bei manchem bayerischen Verwaltungsgericht.

Der Fall kommt aus den Niederlanden und betrifft drei homosexuelle Männer aus Senegal, Uganda und Sierra Leone – alles Länder, wo Homosexualität mit jahre-, im Fall Ugandas sogar mit lebenslanger Haft bestraft wird (in Uganda wird seit Jahren versucht, die Todesstrafe für Homosexualität durchzusetzen). Der Staatsrat hatte dem EuGH zunächst die Frage vorgelegt, ob Homosexuelle eine soziale Gruppe sein können, deren generelle Verfolgung vor Abschiebung schützt, selbst wenn einem selbst noch gar nichts passiert ist. Der EuGH hat diese Frage umstandslos bejaht.

Interessanter sind die zweite und die dritte Vorlagefrage. Ist die bloße Strafbarkeit von Homosexualität schon eine Gruppenverfolgung? Und wenn ja, kann man von Homosexuellen erwarten, der Verfolgung dadurch zu entgehen, dass sie ihre sexuelle Neigung geheimhalten und/oder nicht praktizieren?

Zur zweiten Vorlagefrage sagt der EuGH, dass es zunächst nicht genügt, wenn die Strafbarkeit der Homosexualität nur dem Gesetzbuch nach besteht (Quizfrage dazu: Wann wurde in Deutschland diese Strafbarkeit endgültig abgeschafft? Antwort: 1994). Wenn aber tatsächlich Freiheitsstrafen drohen und auch verhängt werden, dann seien diese Strafen nach dem Maßstab der EMRK und der Grundrechtecharta unverhältnismäßig und diskriminierend, und eine solche Strafe zu riskieren, sei den zuständigen Behörden für die Asyl-Entscheidung nicht erlaubt.

Aber was, wenn der Flüchtling dieses Risiko dadurch minimieren könnte, dass er dafür sorgt, dass niemand an seinem Verhalten Anstoß nimmt? Auf diese hübsche Idee kommen offenbar immer wieder mal Gerichte, die nach Argumenten suchen, den Schutzanspruch zurückzuweisen.

Die entsprechende Frage zum religiösen Glauben hatte der EuGH schon im September 2012 zu beantworten, und auf dieser Entscheidung baut das heutige Urteil auf. Wer aus Glaubensgründen verfolgt wird, so der EuGH damals, genieße Asyl auch dann, wenn man die Verfolgung hätte vermeiden können, indem man seinen Glauben nicht nach außen trägt.

So auch hier. Es komme nicht darauf an, was man als Homosexueller tut oder wie man seine Homosexualität ausdrückt, sondern ob man der verfolgten sozialen Gruppe der Homosexuellen angehört oder nicht. Dieser Gruppe Schutz zu gewähren, aber ihren Mitgliedern gleichzeitig abzuverlangen, ihre Mitgliedschaft geheim zu halten, sei widersprüchlich:

Insoweit ist festzustellen, dass es der Anerkennung eines für die Identität so bedeutsamen Merkmals, dass die Betroffenen nicht gezwungen werden sollten, auf es zu verzichten, widerspricht, wenn von den Mitgliedern einer sozialen Gruppe, die die gleiche sexuelle Ausrichtung haben, verlangt wird, dass sie diese Ausrichtung geheim halten. Daher kann nicht erwartet werden, dass ein Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden.

Ganz ähnlich hat übrigens schon vor drei Jahren der britische Supreme Court entschieden.

Tatsächlich scheint mir dieser Versuch, verfolgten Homosexuellen eine Änderung ihres Verhaltens nahezulegen, unfassbar niederträchtig. Er verlagert das Problem von den Verfolgern zu den Verfolgten – als seien sie quasi selber schuld, dass sie verfolgt werden, wenn sie so indiskret sind, ihre vermeintliche Perversion nach außen zu tragen.

Mit diesem Argument wird man sich künftig hoffentlich weder im VG Bayreuth noch sonst irgendwo in der EU noch weiter herumschlagen müssen.


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